Das dreizehnte Kapitel (German Edition) by Walser Martin

Das dreizehnte Kapitel (German Edition) by Walser Martin

Autor:Walser, Martin [Walser, Martin]
Die sprache: deu
Format: epub, mobi
Tags: Roman
ISBN: 9783644019416
Herausgeber: Rowohlt (com)
veröffentlicht: 2012-09-06T22:00:00+00:00


17

Liebe Freundin, liebste Maja,

was sagt das wieder über die Menschen: Sie, in solcher Not, und ich bade im Glück, weil Sie mich rufen.

So weit auf der in der Leere hängenden Brücke sind Sie noch nie herübergekommen. Ich habe immer schon alle Ihre Sätze wie direkte Berührungen erlebt, jetzt aber, Ihre Sätze jetzt, so nah, so mich spüren lassend, dass es Ihnen etwas ist, mir sagen zu können, wie Sie zu leiden haben! Liebe Maja, was sagt das über die Menschen? Sie in Not und ich durch Ihre Not im Glück! Im Nähe-Glück wie noch nie! Darf ich mich freuen? Nein, nein, nein. Freue ich mich? Ja. Entschuldigen Sie. Bitte.

Hoch hinaus habe ich natürlich auch bemerkt und gleich bestellt und sofort gelesen. Ich gebe zu: Ihretwegen. Ich kann diesen Ludwig nicht mögen. Er ist mir zu aufdringlich. Und wie er sich darauf verlässt, dass wir uns für alles interessieren, was er so dahinsagt. Auch wenn er sich Mühe gibt, sich selber zu verurteilen, glaube ich ihm nichts. Gar nichts. Es ist sein Schicksal, nichts gegen sich empfinden oder gar formulieren zu können. Wie bei einem Midas jede Berührung Gold produziert, wird bei ihm jede Silbe Selbstherrlichkeit. Tatsächlich hat er auch mich berührt. Nicht gerade für sich gewonnen, aber doch bewegt durch diese ebenso heftigen wie unglaubwürdigen Versuche, etwas gegen sich vorzubringen. Er ist geschlagen mit unaufweichbarer Eigenliebe. Das macht ihn, würde man bei einer Maschine sagen, inkompatibel. Wahrscheinlich hat er einen nicht formulierten, aber Tag und Nacht gelebten Vertrag mit seiner Luitgard. Sie weiß genau, was von ihm nicht zu erwarten ist, und lässt sich, was sie nicht kriegt, in anderer als menschlicher Währung auszahlen. Wahrscheinlich in einem solchen Übermaß, dass sie ohne Liebe leben kann.

Wenn nun der nächste Mensch von solcher Abfindung leben muss, was hat dann der Rest der Menschheit von diesem Ego-Midas zu erwarten? Nichts. Nirgends. Sie und Korbinian haben sich lebendig nah geglaubt. Sie fühlten sich geschätzt und mehr. Und Sie schätzten ihn. Und mehr als das. Nicht nur Korbinian. Ich aber behaupte: Sie erleiden durch sein Benehmen, also zuerst das Verschwinden und jetzt dieses Hoch hinaus, Sie erleiden keinen Verlust. Sie verlieren nichts, weil Sie nichts gehabt haben. Außer einer Illusion.

Verzeihen Sie! So könnte ich an Korbinian nicht schreiben. An Sie, glaube ich, muss ich so schreiben. Das muss man in sich zur Geltung bringen, dass man nichts gehabt hat. Das kann man jetzt wachrufen als Situation, Erfahrung, Gefühl. Dann und dann war das und das, und es war so und so. Und jetzt genau hingefühlt. Dass der immer nur andere brauchte, um sich aufzuführen, das hatten Sie mir doch schon geschildert.

Liebe Maja, Sie sind zu schade dafür, diesem Effekt-Virtuosen als Publikum zu dienen. Und: Sie haben alles, was ich jetzt heraufbeschwöre, längst gewusst. Ja, sein Rücken-Kraul, sein Muskel-Menu, seine sich überhaupt nicht verselbständigenden Muskulaturen. Das nicht mehr zu sehen, nicht mehr serviert zu bekommen IST ein Verlust. Und Korbinian verliert viel, viel mehr als Sie. Sie müssen tun, was Sie können, dass Korbinian dieses Gleiß-Diktat nicht zu sehen bekommt.



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